Mikrovakzination in der Kinder -und Jugendheilkunde

Artikel "Mikrovakzination in der Kinder- und Jugendheilkunde"
Aus: AKOM, Angewandte Komplementärmedizin, Heft 12-2017, Dezember 2017
Autorin: Dr. med. Britta Knoll

Unser Immunsystem stellt ein äußert komplexes, vielschichtiges Netzwerk aus spezifischen Organen, Zellen und Molekülen dar, die den Organismus vor körperfremden Substanzen schützen. Dabei unterscheidet die Immunologie zwischen einer angeborenen, stetig aktiven und einer adaptiven Immunabwehr, die auf neue, dem Körper bislang unbekannte Erreger reagiert.

Für Letzteres sind vorwiegend Antikörper (Immunglobuline der Klassen A, D, E, G und M) zuständig. Sie erkennen Antigene, die auf der Oberfläche von Erregern sitzen, docken an diese nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip an und neutralisieren sie oder lösen eine konzertierte Immunreaktion aus. Weiße Blutzellen (B-Lymphozyten) sezernieren Antikörper, und zwar immer passend, also spezifisch zu den jeweiligen Antigenen. Einmal gebildet, bleiben sie als wesentlicher Bestandteil der adaptiven Immunabwehr erhalten, damit das Immunsystem bei erneutem Kontakt mit denselben Erregern schnell und angemessen reagieren kann. Diese erworbene Fähigkeit bezeichnet man als immunologisches Gedächtnis: Bei einer wiederkehrenden Infektion wird so verhindert, dass die Erkrankung erneut ausbricht. Der Körper ist immun.

Die Funktionsweise der adaptiven bzw. spezifischen Immunabwehr macht sich die Schutzimpfung oder Vakzination zu Nutze, die meist intramuskulär erfolgt. Sie soll verhindern, dass Erreger bedingte Erkrankungen überhaupt erst ausbrechen. Dazu werden abgeschwächte oder inaktive Erreger injiziert, sodass sie keine oder nur leichte Krankheitssymptome hervorrufen können. Da die Erreger aber ihre Antigene weiterhin besitzen, reagiert der Körper auf sie, bildet spezifische Antikörper und aktiviert sein immunologisches Gedächtnis. Ein erneuter Kontakt mit den gleichen Erregern löst dann eine wirksame Immunreaktion aus, die so den Ausbruch der Erkrankung verhindert.

Mikrovakzination: schonend und sparsam

Interessanterweise funktioniert das Prinzip der Schutzimpfung auch, wenn man die angeborene Immunabwehr anregt. Diese besteht, vereinfacht dargestellt, aus zwei Anteilen. Einem zellulären Anteil mit:

  • Granulozyten, weiße Blutkörperchen, die Erreger angreifen,
  • Monozyten, kernhaltige Blutzellen, aus denen sich Makrophagen entwickeln,
  • Makrophagen, kernhaltige Blutzellen, die u.a. als Fresszellen Erreger bekämpfen
  • und NK-Zellen (natürliche Killer-Zellen), die virusinfizierte Zellen zerstören.

Und einem sog. humoralen Anteil, bestehend aus :

  • Komplementsystem, Proteine, die u.a. Erreger markieren (opsonisieren), damit sie z.B. von Fresszellen gefunden werden,
  • Lysozym, ein antibakteriell wirkendes Enzym,
  • und Interferone, die Zellen gegen virale Infektionen widerstandsfähig machen.

Um die angeborene Immunabwehr im Sinne einer Schutzimpfung anzuregen, verabreicht man eine unspezifische Vakzine in deutlich geringerer Dosis intrakutan. Diese wird nicht in den Muskel, sondern lediglich in die Haut an spezifische Akupunktur- und Reaktionspunkte injiziert.

Dieses gleichermaßen schonende wie sparsame Verfahren ist kennzeichnend für die Mikrovakzination, die in der Mesotherapie Anwendung findet. Hier wird stark verdünnte Vakzine (1/20stel der üblichen Dosis) oberflächlich in die Haut an vier bis acht Punkten gequaddelt ‒ z.B. bei Atemwegsinfekten und Heuschnupfen seitlich der Nase über den Kieferhöhlen und an beiden Unterkiefernwinkeln am Lymphatischen Rachenring. Durch das Quaddeln entstehen kleine epidermale Depots mit Antigenen, die lange in der Haut verweilen und die gewünschte Immunreaktion auslösen. Bei Bedarf lassen sich spezielle, homöopathische Komplexpräparate der Vakzine  beimischen.

Neben ihrer prophylaktischen Wirkung, die üblicherweise nach zwei bis drei Monaten greift, schafft die Injektion an den oben genannten Punkten innerhalb weniger Wochen eine lokale Stimulation des Immunsystems über die Schleimhaut der oberen Luftwege sowie über die Lymphorgane des Waldeyer-Rachenringes. So lässt sich lokal und gezielt eine immunologische Barriere gegen Viren, Bakterien und Pollen schon an der Eintrittstelle aufbauen. Hierbei erweist sich die Mikrovakzination als immunmodulierend: Aktivieren „schwacher“ Immunzellen, Eindämmen überschießender Reaktionen.

Das Quaddeln erfolgt mit einer sehr dünnen und kurzen Kanüle, ist daher nahezu schmerzfrei und dauert nur wenige Minuten. Die Schutzimpfung wird nach einem Monat wiederholt und dann zweimal im Jahr, meist im Frühjahr und Herbst, einmalig aufgefrischt.

Die intrakutane Verabreichung geringster Mengen an Vakzine macht die Mikrovakzination äußert nebenwirkungsarm: Es kommt zu keinen systemischen Reaktionen, wie bei einer normalen Vakzination möglich. Etwaige Beschwerden beschränken sich auf kleine, mückenstichähnliche Schwellungen und Rötungen an den Einstichstellen, die schnell wieder abklingen. Deshalb ist die Mikrovakzination gerade bei Kindern angezeigt und lässt sich ab deren zweitem Lebensjahr einsetzen.

Zu den Anwendungsgebieten zählen die Prophylaxe von Atemwegsinfekten wie Bronchitis, Sinusitis, Pharyngitis und Tonsillitis, ebenso wie die Behandlung von chronischen Nasennebenhöhlenentzündungen, Pollenallergien, Heuschnupfen, Herpes simplex, rezidivierenden Harnwegs- und gynäkologischen Infekten sowie Urtikaria und andere Hautkrankheiten.
Begleitend kann die Mikrovakzination auch bei Asthma, COPD und Mukoviszidose eingesetzt werden.

Der Ursprung der Mikrovakzination

Die in der Mikrovakzination praktizierten Injektionen in die Haut mit geringsten Mengen an Wirkstoffen sind ein wesentliches Merkmal der Mesotherapie, ein Verfahren, das der französische Arzt Michel Pistor (1924 - 2003) in den 1950er-Jahren entdeckt und entwickelt hat.
In der Mesotherapie werden Beschwerden direkt am Ort des Geschehens behandelt, was entscheidende Vorteile bringt:

  • Bereits geringste Mengen an Wirkstoffen genügen, um lang anhaltende Erfolge zu erzielen.
  • Die Anwendung erfolgt selten – je nach Indikation kann schon die erste Behandlung zum gewünschten Erfolg führen.
  • Systemische Nebenwirkungen sind ausgeschlossen, da die Wirkstoffe nicht in den enterohepatischen und Blutkreislauf gelangen. Das macht die Mesotherapie zu einem sehr schonenden und beliebten Verfahren.

Als Wirkstoffe kommen verdünnte Allopathika, Homöopathika, Phytopharmaka, Vitamine, Mineralien und Spurenelemente zum Einsatz. Sie sind überwiegend natürlichen Ursprungs und gut verträglich. Die ausgewählten Wirkstoffe werden unmittelbar vor der Behandlung individuell zusammengemischt. Die Auswahl erfolgt je nach Indikation und den spezifischen Bedürfnissen des Patienten. Ein Lokalanästhetikum dient meist als Trägerlösung.

Der Einsatz der Mesotherapie erfolgt

  • kurativ bei vielen unterschiedlichen Beschwerden und Erkrankungen, wie Arthrosen, Kopfschmerzen und Migräne;
  • in der ästhetischen Medizin u.a. zur Behandlung von Falten, der Revitalisierung der Haut sowie bei Haarausfall
  • und präventiv vorwiegend als Mikrovakzination bei den oben bereits aufgeführten Anwendungsgebieten. Für die Mesotherapie gibt es nur sehr wenige medizinische Kontraindikationen.

Als heilkundliches Verfahren ist sie ausschließlich Ärzten und Heilpraktikern vorbehalten. Die Injektionstechniken und die korrekte Anwendung der Wirkstoffgemische vermitteln Wochenend-Lehrgänge, entweder als Einführungs- oder Fortgeschrittenenkurse.

Mikrovakzination bei rezidivierenden Atemwegsinfekten

Am Beispiel rezidivierender Atemwegsinfekte bei Kindern ab zwei Jahren lässt sich der Einsatz der Mikrovakzination aufzeigen. Rezidivierende, also wiederkehrende Atemwegsinfekte treten bei Kindern sehr häufig auf. Bei Zwei- bis Vierjährigen gelten durchschnittlich bis zu neun Infektionen pro Jahr als normal, ab dem fünften Lebensjahr sind es immer noch acht. Geht das Kind in einen Kindergarten, können Infekte auch monatlich auftreten.

Zu den typischen Infektionen der Atemwege zählen:

  • Sinusitis: Ausgelöst durch Viren (65 - 80 %) oder Bakterien (20 - 35 %), stellt sie eine akute oder chronische Vereiterung der Schleimhäute der Nasennebenhöhlen dar. Sie folgt oder wird oft von einem Schnupfen (Rhinitis) begleitet.
  • Pharyngitis: Eine meist durch Viren (< 90 %) verursachte Entzündung des Rachens, genauer der Rachenschleimhaut, die sich u.a. durch Halsschmerzen und Schmerzen beim Schlucken äußert. Sie kann von einer bakteriellen Sekundärinfektion (Superinfektion) durch A-Streptokokken begleitet werden, die Superinfektionsrate liegt bei Kindern bei bis zu 40 %.
  • Laryngitis: Eine viral bedingte Entzündung des Kehlkopfs, genauer der Kehlkopfschleimhaut, tritt bei Kindern meist im Alter bis zu sechs Jahren auf, führt zu Heiserkeit und wird oft von bellendem Husten begleitet. Eine bakterielle Superinfektion ist selten.
  • Rhinitis: der infektiöse Schnupfen, typisch bei Kindern ab drei bis vier Jahren. Er wird meist durch Viren, sonst durch Bakterien und in seltenen Fällen (bei Immundefekten) auch durch Pilze ausgelöst. Charakteristisch: eine erst laufende und dann verstopfte Nase. Gelbliches Nasensekret deutet meist auf eine bakterielle Superinfektion hin.
  • Bronchitis: Die Entzündung der Schleimhaut der Luftwege in der Lunge ist viral bedingt und äußert sich erst durch trockenen Husten und späteren Auswurf. Trüber, gelblich grüner Auswurf deutet auf eine bakterielle Superinfektion hin. Atemnot bei Kindern bis zum dritten Lebensjahr weist typischerweise auf eine obstruktive Bronchitis hin, aus der sich bei einigen Kindern später Asthma entwickeln kann.

Mithilfe der Mikrovakzination lässt sich die Anfälligkeit für diese Infekte bei Kindern ab zwei Jahre innerhalb weniger Monate durch Aufbau einer gegen Bakterien und Viren wirksamen immunologischen Barriere entscheidend verringern. Zur Anwendung kommt als Vakzine der Impfstoff StroVac®, eine als Off-Label-Use eingesetzte Injektionssuspension mit inaktivierten bakteriellen Erregern. Dazu werden 0,5 ml Vakzine mit 9 ml Impfstoff-Verdünner gemischt und zu jeweils 0,3 ml in 1-ml-Spritzen (Tuberkulinspritzen) abgefüllt.

Die Injektion selbst erfolgt mit sehr dünnen und nur 4 mm langen Kanülen an den eingangs genannten Punkten als intrakutane Quaddeln mit jeweils weniger als 0,1 ml Wirkstoffmischung (= ca. 1 Tropfen). Liegt eine rezidivierende Bronchitis vor, werden zusätzlich mehrere Quaddeln paravertebral und parasternal gesetzt. Die Quaddeln wirken als Depot für die Vakzine und ermöglichen einen lang anhaltenden Kontakt des Impfstoffs mit den dermalen Immunzellen und dessen Diffusion hin zu den entzündeten Schleimhäuten und dem Lymphsystem.

Die Mikrovakzination kann so zweifach wirken: Sie aktiviert zum einen über Haut, Schleimhaut und Lymphsystem die unspezifische Immunabwehr und bei Vorliegen einer bakteriellen Superinfektion zusätzlich die adaptive Immunabwehr.

Mikrovakzination bei Heuschnupfen

Unter Heuschnupfen leidet durchschnittlich jedes siebte bis achte Kind. Die Pollenallergie setzt typischerweise ab einem Alter von 10 Jahren ein, kann aber auch deutlich jüngere Kinder betreffen. Ursächlich ist eine allergische Reaktion (Typ-1-Allergie) auf Pollen von Gräsern und/oder Bäumen, die das Immunsystem fehldeutet und deshalb Antikörper bildet.

Kommt es zu einem erneuten Kontakt mit den Pollen, aktiviert dies das adaptive Immunsystem, die Pollen werden neutralisiert, während Mastzellen übermäßig Botenstoffe, insbesondere Histamin, ausschütten. Das Gewebe schwillt an, juckende, brennende oder tränende Augen, ein allergischer Schnupfen (Fließschnupfen oder verstopfte Nase) und Niesattacken sind die Folge.

Die Mikrovakzination erfolgt an den gleichen Stellen wie bei der Behandlung von rezidivierenden Atemwegsinfekten. Wichtig hierbei: Die rechtzeitige Impfung, also etwa sechs bis acht Wochen vor dem Flug der entsprechenden Pollen, auf die das Kind allergisch reagiert. Denn die Behandlung muss zweimal in einem Abstand von vier Wochen erfolgen und das Immunsystem benötigt entsprechend Zeit, um reagieren zu können. Zur langfristigen Erhaltung der Wirkung sind einzelne Auffrischungsbehandlungen alle sechs Monate fällig.

Ist eine rechtzeitige Mikrovakzination nicht möglich, dann sollten bereits auftretende Heuschnupfensymptome begleitend mit Akutmitteln behandelt werden. Hier empfehlen sich homöopathische Allergiemittel wie Regasinum® antallergicum, Allergie-Injektopas® oder Infi-Eupatorium-Injektion-N. Diese werden mit etwas Procain als Trägerstoff vermischt und an dieselben Stellen injiziert wie die unspezifische Vakzine in der Mikrovakzination. Die Behandlung sollte allerdings nicht zeitgleich erfolgen, sondern, soweit noch nötig, etwa eine Woche nach der ersten Mikrovakzination. Bis die Mikrovakzination selbst wirkt, können im Bedarfsfall Antihistaminika verabreicht werden, idealerweise topisch (z.B. Livocab® Nasenspray), oder, falls notwendig, auch als Tabletten.

Studie zur Wirksamkeit

Eine in diesem Jahr erstellte retrospektive Studie (1) wertete die Daten von 92 Patienten einer Münchener Praxis aus, die zwischen 2000 und 2017 wegen rezidivierender Atemwegsinfekte (Sinusitis, Rhinitis, Laryngitis, Pharyngitis, Bronchitis) und/oder Heuschnupfen regelmäßige Mikrovakzinationen mit der verdünnten Vakzine StroVac® erhalten haben.

Das Ziel der Studie bestand darin, die dauerhafte Wirksamkeit der Mikrovakzination bei oben genannten Indikationen festzustellen. Diese wurde in eine vierstufige Bewertungsskala eingeteilt (keine Besserung, leichte Besserung, wesentliche Besserung und Beschwerdefreiheit).

Bei den 46 von insgesamt 92 Patienten, die an rezidivierenden Infekten litten, konnte in 84,8 % der Fälle eine wesentliche Besserung bzw. Beschwerdefreiheit erzielt werden. Bei den 23 Heuschnupfen-Patienten lag die Erfolgsrate bei 95,7 % (wesentliche Besserung bzw. Beschwerdefreiheit). Die restlichen 23 Patienten wiesen sowohl einen rezidivierenden Infekt als auch eine Heuschnupfen-Erkrankung auf. Hier gelang eine wesentliche Verbesserung bzw. Beschwerdefreiheit in 91,3 % der Fälle. Die Wirksamkeit zeigte sich in allen Altersstufen: Zu dem Patientenkollektiv zählten auch 13 Kinder zwischen 2 und 14 Jahren.

Diese Auswertungen zeigen, dass die Mikrovakzination zu einer starken Verringerung der Häufigkeit und Intensität rezidivierender Atemwegsinfekte führt, die bei Heuschnupfen besonders deutlich ist. Damit legt die Studie nahe, dass Mikrovakzination maßgeblich helfen kann, Infektanfälligkeit und Heuschnupfen im Allgemeinen und speziell auch bei Kindern vorzubeugen.

Mehr zum Thema

1. Stosius, A.: Retrospektive Studie über die Langzeitergebnisse einer Breitbandimmunisierung (Meso-Vakzination mit der unspezifischen Vakzine Strovac) zur Prophylaxe rezidivierender Luftwegs-Infekte und Heuschnupfen, unveröffentlichte Studie; Berlin, 2017