Mikrovakzination: Wenn Forschung die Wirksamkeit von Erfahrungsmedizin erklärt

aus: AKOM, Heft 7/19. Erschienen im Juli 2019
Autorin: Britta Knoll

Der zusammengesetzte Begriff Mikrovakzination beschreibt eine kleine Schutzimpfung. Klein, weil die verabreichte Dosis an Vakzine äußerst gering ist, während die sehr feine, kurze Kanüle nur in die Haut dringt und nicht in die darunterliegenden Muskeln.

Und Vakzination, weil sie wie eine klassische Schutzimpfung vorbeugend wirkt, vor allem bei chronischen Atemwegsinfekten und Heuschnupfen.

Mesotherapie und Mikrovakzination

Die Mikrovakzination ist eine präventive Anwendung aus der Mesotherapie, einem heilkundlichen, minimalinvasiven Verfahren, das der französische Arzte Michel Pistor Ende der 1950er Jahren entwickelt hat und das auch in Deutschland von zunehmend mehr Ärzten und Heilpraktikern praktiziert wird.1

Das dem Verfahren zugrundeliegende Prinzip des „wenig, selten und am richtigen Ort“ steht für kleinste Dosen an Wirkstoffen, die aufgrund der hohen Wirksamkeit meist nur wenige Male verabreicht werden müssen und zwar intrakutan direkt am Ort der Beschwerden. Hier wirken sie vor allem topisch, was übliche Nebenwirkungen ausschließt und die Mesotherapie zu einem sehr gut verträglichen Verfahren macht.

Sie kann auch bei Kindern ab einem Alter von zwei Jahren angewendet werden. Da das dermale Immunsystem überall funktioniert, ist die übliche Auswahl der Injektionspunkte bei kleinen Kindern nicht obligatorisch. Wenn Kinderärzte 10 „banale“ Luftwegsinfekte pro Jahr als „normal“ erklären, ist dies doch für die betroffenen Kinder, Eltern, sowie das gesamte soziale Umfeld eine erhebliche Belastung.

Typisch für die Mesotherapie ist, dass die nur in die Haut injizierten Wirkstoffe weder in den Blut- noch in den enterohepatischen Kreislauf gelangen, was beispielsweise eine nebenwirkungsfreie Anwendung von NSAR ermöglicht.

Klassischerweise werden in der Mesotherapie aber Homöopathika, Phytopharmaka, Vitamine, Mineralien und Spurenelemente injiziert, die überwiegend natürlichen Ursprungs und gut verträglich sind. Allopathika kommen nur verdünnt zum Einsatz und werden meist im Off-Label-Use angewendet.

Obwohl es diverse Studien gibt, die die Wirksamkeit der Mesotherapie belegen2, ist das Verfahren der Erfahrungsmedizin zuzuordnen. Die Anwendung, präventiv, kurativ oder in der ästhetischen Medizin, erfolgt immer individuell und berücksichtigt immer die Krankheitsgeschichte und die Konstitution des jeweiligen Patienten. 

Die Mikrovakzination wird kurativ eingesetzt zur Behandlung chronischer Infekte wie Bronchitis, Sinusitis, Pharyngitis, Tonsillitis, Kieferostitis, aber vor allem präventiv bei häufigen grippalen Infekten, Heuschnupfen, sonstigen Allergien, Viruserkrankungen der Haut, rezidivierenden Harnwegs- und gynäkologischen Infekten, sowie als Umstimmungstherapie bei Urtikaria, Asthma, COPD, Mukoviszidose oder Autoimmunerkrankungen.

Das Prinzip der Impfung

Das Prinzip einer Vakzination beruht auf der adaptiven Immunabwehr unseres Körpers, die vorwiegend durch Antikörper (Immunglobuline der Klassen A, D, E, G und M) gebildet wird. Diese spezifisch sezernierten Antikörper erkennen die auf der Oberfläche von Erregern sitzenden Antigene, docken an diese nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip an und neutralisieren sie oder lösen eine konzertierte Immunreaktion aus. Einmal gebildet, bleiben sie als wesentlicher Bestandteil der adaptiven Immunabwehr erhalten (Immungedächtnis). So kann das Immunsystem bei wiederholtem Kontakt mit denselben Erregern schnell reagieren und das erneute Ausbrechen einer Erkrankung verhindern.

Bei einer Impfung werden inaktive oder abgeschwächte Erreger samt ihrer Antigene üblicherweise in einer vorgegebenen Dosis intramuskulär injiziert. Je nach Schutzimpfung können mehrere Grundimmunisierungen, einzeln oder in Kombination, sowie eine Auffrischung nach mehreren Jahren oder Jahrzehnten notwendig sein.

Für viele Impfgegener sind die Vielzahl der Impfstoffe und die darin enthaltenen toxischen Adjuvantien (Aluminiumhydroxid, Squalen) ein Kritikpunkt, der durch die Modifikationen bei der Mikrovakzination weitgehend ausgeschaltet werden kann. Auch produktionstechnische und finanzielle Einsparungen ließen sich bei nachweisbarer Effektivität (Titermessung) realisieren.3

Mikrovakzination im Vergleich

Bei der Mikrovakzination wird eine stark verdünnte Vakzine (1/20stel der üblichen Dosis) an vier bis acht spezifischen Akupunktur- und Reaktionspunkte oberflächlich in die Haut gequaddelt. So entstehen kleine epidermale Depots mit Antigenen, die lange in der Haut verweilen und die gewünschte Immunreaktion auslösen.

Bei Atemwegsinfekten und Heuschnupfen werden seitlich der Nase über den Kieferhöhlen (für das mucosale System) und an beiden Unterkiefernwinkeln (für den lymphatischen Rachenring) vier intrakutane Quaddeln gesetzt mit jeweils weniger als 0,1 ml Wirkstoffmischung (= ca. 1 Tropfen). Bei einer rezidivierenden Bronchitis werden zusätzlich mehrere Quaddeln paravertebral und parasternal gesetzt.

Bei Heuschnupfen ist eine rechtzeitige Impfung wichtig, die etwa sechs bis acht Wochen vor dem Flug der entsprechenden Pollen erfolgen sollte. Die Behandlung erfolgt zweimal in einem Abstand von vier Wochen, wegen des Booster-Effekts. Zur langfristigen Erhaltung der Wirkung müssen einmalige Auffrischungen alle sechs Monate erfolgen.

Das Setzen der Quaddeln ist bei korrekter Injektionstechnik nahezu schmerzfrei und dauert nur wenige Minuten. Der Akupunkturpunkt M2 über der Kieferhöhle ist etwas empfindlicher, führt aber oft zu einer sofortigen (positiven) Reaktion, z.B. dem Entleeren einer verstopften Nase. Als etwaige Nebenwirkungen können kleine, mückenstichähnliche Schwellungen und Rötungen an den Einstichstellen auftreten, die schnell wieder abklingen. Sie sind der lokale Nachweis der Effektivität und Wirksamkeit der verdünnten Impfstofflösung.

Praxis-Studie belegt klinische Wirksamkeit

Dass die Mikrovakzination tatsächlich funktioniert, konnte eine retrospektive Studie4 vor zwei Jahren aufzeigen. Dabei wurden die Daten von 92 Patienten einer Münchener Praxis ausgewertet, die wegen rezidivierender Atemwegsinfekte (Sinusitis, Rhinitis, Laryngitis, Pharyngitis, Bronchitis) und/oder Heuschnupfen regelmäßige Mikrovakzinationen erhalten hatten:

  • Bei den 46 Patienten mit rezidivierenden Infekten konnte in 84,8 % der Fälle eine wesentliche Besserung bzw. Beschwerdefreiheit erzielt werden.
  • Bei den 23 Heuschnupfen-Patienten lag die Erfolgsrate bei 95,7 % (wesentliche Besserung bzw. Beschwerdefreiheit).
  • Die restlichen 23 Patienten wiesen sowohl einen rezidivierenden Infekt als auch eine Heuschnupfen-Erkrankung auf. Hier gelang eine wesentliche Verbesserung bzw. Beschwerdefreiheit bei 91,3 % der Fälle.

Zu den 92 Patienten zählten übrigens auch 13 Kinder zwischen zwei und 14 Jahren.

Off-Label-Use

Die Erfahrungswerte aus der Studie, wie die der vielen Ärzte und Heilpraktiker, die die Mikrovakzination seit Jahren und Jahrzehnten erfolgreich anwenden, sprechen für deren Wirksamkeit. Was die Patienten als angenehm und befreiend empfinden, konnte bislang aber nicht wissenschaftlich begründet werden. Denn als Vakzine wird bei der Mikrovakzination der mit einer speziellen Phenollösung verdünnte Impfstoff StroVac® im Off-Label-Use verwendet, eine Injektionssuspension mit inaktivierten bakteriellen Erregern zur Behandlung von Harnwegsinfekten. Das Schlüssel-Schloss-Prinzip der adaptiven Immunabwehr greift hier also nicht, sind doch die bakteriellen Erreger von Harnwegsinfekten z.T. andere, als die bakteriellen und viralen Erreger von Atemwegserkrankungen und die Allergene von Heuschnupfen.

Universal-Antikörper

Eine Antwort auf die Frage, wie die Mikrovakzination trotzdem funktionieren kann, bietet eine Entdeckung, die das Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) letztes Jahr veröffentlicht hat. Dabei entdeckten Wissenschaftler erstmals Antikörper, die verschiedene Mikroorganismen gleichzeitig unschädlich machen können.5 Diese Universal-Antikörper erkennen nicht nur andere Bakterien, sondern auch bestimmte Hefen und Viren.

Im konkreten Fall ging es um das Bakterium Klebsiella pneumoniae, das u.a. Harnwegs- und Atemwegsinfekte auslösen kann. Die hierbei gefundenen Universal-Antikörper erkannten als Antigen eine kleine Zuckerstruktur auf dem Bakterium, die ebenfalls auf anderen Keimen vorkommt. Damit konnten die neu entdeckten Antikörper alle Erreger, die diese Zuckerstruktur auf ihrer Oberfläche tragen, wirksam bekämpfen.

Um beim Bild des Schlüssel-Schloss-Prinzips zu bleiben: Universal-Antikörper besitzen keinen spezifischen Schlüssel, der nur für ein Schloss passt, sondern einen Dietrich, mit dem sie mehrere Schlösser öffnen können.

Der in der Mikrovakzination verwendete Impfstoff StroVac® enthält übrigens neben anderen auch Klebsiella pneumoniae-Antigene.

Komplexes Immunsystem

Lässt sich mit diesen neu entdeckten Universal-Antikörpern die Wirksamkeit der Mikrovakzination vollständig erklären? Natürlich nicht ganz, denn dafür ist unser Immunsystem zu komplex und die Forschung hat gerade erst begonnen.

Zudem wird häufig vergessen, dass jeder Mensch selbstverständlich nicht nur über die adaptive, sondern auch über eine angeborene Immunabwehr verfügt. Diese ist mit ihren Granulozyten, Monozyten, Makrophagen, NK-Zellen, dem Komplementsystem, dem Lysozym und den Interferonen hoch aktiv, speziell auch intradermal.6

So ist es die angeborene Immunabwehr, die bei einer Mikrovakzination bereits innerhalb weniger Tage eine immunologische Modulation über die Schleimhaut der oberen Luftwege und über die Lymphorgane des Waldeyer´schen-Rachenrings erreicht, während die vorbeugende Wirkung über die adaptive Immunabwehr meist erst nach mehreren Wochen greift. Modulation bedeutet in diesem Zusammenhang das Hochsteuern einer schwachen Immunantwort bei Infektanfälligkeit, sowie die Abschwächung einer überschießenden Immunantwort bei allergischer Disposition.

Dennoch ist die langjährig praktizierte Mikrovakzination ein gutes Beispiel dafür, wie ein Verfahren aus der Erfahrungsmedizin dank neuer Entdeckungen aus der Forschung zusätzliche Legitimation erhalten kann.

 

Mehr zum Thema:

1 www.mesotherapie.org/therapeuten-liste

2 z.B.: Melo DF, de Mattos Barreto T, Plata GT et al: Excellent response to mesotherapy as adjunctive treatment in male androgenetic alopecia. J Cosmet Dermatol. 2019 May 8

Kocak AO: Intradermal mesotherapy versus systemic therapy in the treatment of musculoskeletal pain: A prospective randomized study. Am J Emerg Med. 2019 Feb 28. pii: S0735-6757(19)30146-9

Chen L, Li D, Zhong J et al: Therapeutic Effectiveness and Safety of Mesotherapy in Patients with Osteoarthritis of the Knee. Evid Based Complement Alternat Med. 2018 Jan 4;2018:6513049

3 https://www.ages.at/fileadmin/_migrated/cal_uploads/Stemberger_Reiseschutzimpfung.pdf

4 Stosius, A: Retrospektive Studie über die Langzeitergebnisse einer Breitbandimmunisierung (Meso-Vakzination mit der unspezifischen Vakzine Strovac) zur Prophylaxe rezidivierender Luftwegs-Infekte und Heuschnupfen; Berlin, 2017

5 Rollenske T, Szijarto V, Lukasiewicz J et al: Cross-specificity of protective human antibodies against Klebsiella pneumoniae LPS O-antigen. Nat Immunol. 2018 Jun;19(6):617-624

6 Orasmäe-Meder T: L'épiderme en première ligne de front. body language Nr. 6, 2016, 58- 65